Liebe Leserin, lieber Leser,

In 5. Mose 10,19-20 lesen wir:

„Unterdrückt die Fremden nicht, die bei euch leben, sondern behandelt sie wie euresgleichen. Liebt sie wie euch selbst, denn auch ihr seid Fremde in Ägypten gewesen!“

Diese Verse hat Gott dem Volk Israel als Gesetz gegeben. Die Israeliten waren eben noch Fremde in Ägypten, unterdrückt und ausgebeutet. Sie sind aber auch ein lebendiger Aufruf an uns alle, die Liebe Gottes im Umgang miteinander sichtbar werden zu lassen.

Das Gebot mahnt zu Verständnis und Mitgefühl für alle, die sich in einer neuen Umgebung zurechtfinden müssen. Auch Jesus hat in seiner Bergpredigt deutlich gemacht: „Wenn ihr nur freundlich zu euren Brüdern seid, was tut ihr da Besonderes? Tun nicht auch die Heiden dasselbe?“ (Matthäus 5,47-48). Damit fordert er uns auf, unsere Nächstenliebe nicht nur auf bekannte Gesichter zu beschränken, sondern Menschen in Not unsere Hilfe anzubieten, egal aus welchem Volk oder Kulturkreis sie kommen.

Ein besonders eindrückliches Beispiel dafür ist das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Ein Samariter, der zu seiner Zeit als Außenseiter galt, kümmerte sich um einen verletzten Fremden - einen Juden. Diese Tat zeigt uns, dass wahre Nächstenliebe keine Grenzen kennt. Es geht nicht um Herkunft, Nationalität oder Religion, sondern um Mitmenschlichkeit. Jesus machte damit deutlich: Wer einem Notleidenden hilft, tut dies letztlich für sich selbst, denn in jedem Menschen spiegelt sich das Ebenbild Gottes wider.

Die Frage nach dem Umgang mit Fremden und Migranten ist auch in unserer Zeit hochaktuell. Menschen verlassen ihre Heimat nicht aus reiner Abenteuerlust, sondern meist, weil sie vor Hunger, Krieg oder anderen existenziellen Bedrohungen fliehen. Schon in der Bibel begegnen uns diese Gründe: Josefs Familie zog nach Ägypten, um dem Hunger zu entkommen, und auch die Israeliten litten unter der Unterdrückung in Ägypten. Ähnliche Motive finden wir heute, wenn beispielsweise Menschen aus Afrika oder anderen Krisenregionen in Europa Schutz und eine Perspektive suchen.

Gleichzeitig zeigt die Geschichte, dass Migration immer auch Chancen zur Bereicherung und zum Austausch bietet. Die Gastarbeiter, die vor Jahrzehnten nach Deutschland kamen, haben mit ihrer Arbeit die Wirtschaft gestützt, ihre Nachkommen sind heute fester Bestandteil unserer Gesellschaft. Integration erfordert aber auch Anstrengungen auf beiden Seiten. Wer in ein neues Land kommt, muss - wenn er dauerhaft dazugehören will - auch bereit sein, die Regeln und Gepflogenheiten des Gastlandes zu akzeptieren. So wie im Alten Testament der Fremde durch die Beschneidung in die Gemeinschaft aufgenommen wurde, symbolisiert auch heute die Bereitschaft zur Integration den bewussten Eintritt in eine neue Gemeinschaft.

Dabei stellt sich immer wieder die Frage: Wie gehen wir mit denen um, die sich in unsere Gemeinschaft integrieren wollen, und wie reagieren wir auf diejenigen, die ihre eigenen Normen in unserem Land durchsetzen wollen? Die biblische Botschaft ist klar: Wer bereit ist, sich in die Gemeinschaft einzubringen und in Liebe zu leben, verdient unsere Unterstützung und unseren Schutz. Für das Volk Israel war es noch nicht lange her, dass sie Fremde waren. Wie sie dürfen auch wir in der Not mit Gottes Hilfe rechnen.

Es geht nicht darum, pauschal alle Fremden vorbehaltlos hereinzulassen, sondern in jedem Einzelfall mit Augenmaß und Menschlichkeit zu handeln. Unser Grundgesetz, das jeden Menschen vor Diskriminierung schützt, spiegelt diesen Grundsatz wider. Jeder Mensch hat das Recht auf Leben und Unversehrtheit - unabhängig von Herkunft und Status. Diese universelle Gültigkeit der Menschenwürde ist auch die Grundlage unserer christlichen Nächstenliebe.

Ein weiterer Aspekt betrifft Kirchen und Gemeinden. Wie in der hebräischen Tradition die Beschneidung das Zeichen der Zugehörigkeit zum Volk Gottes war, so symbolisiert im Christentum die Taufe die Aufnahme in diese Gemeinschaft. Im Reich Gottes gibt es keine Grenzen - wer an Jesus glaubt und sich taufen lässt, gehört uneingeschränkt dazu. Die Kirche ist dazu berufen, ein Ort des Willkommens und der Gemeinschaft zu sein, an dem jeder Mensch, unabhängig von seiner Herkunft, ein Zuhause finden kann.

Nehmen wir also Gottes Gebot ernst und leben es in unserem Alltag: Wenn wir einem Menschen begegnen, der Hilfe braucht - sei es ein Migrant, ein Fremder oder jemand, den wir sonst kaum kennen - dann lasst uns diesen Menschen lieben und ihm helfen, wie wir es für unsere engsten Freunde tun würden. Denn in jedem von uns lebt der Funke Gottes, und jeder Mensch trägt die Würde und den Wert, die ihm unser Schöpfer gegeben hat.

Erinnern wir uns immer wieder daran, dass Nächstenliebe keine Frage der Herkunft, sondern des Herzens und des Verstandes ist. Folgen wir diesem Ruf und gestalten wir eine Welt, in der jeder willkommen ist - so wie Gott uns bedingungslos liebt.

Herzliche Grüße
Matthias Kasemann

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